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„Mozart 100“ war eines, „Tour de Tirol“ wird eines: ein Laufabenteuer der besonderen Art: 3 Tage - 73 km - 2.400 Höhenmeter! Ich halte dagegen: 50 – 5:00 – 1:50! Und wer ist Schuld? Jonathan Wyatt! Vor ein paar Jahren sah ich einen Bericht über ihn bei der Tour de Tirol. Ich war begeistert. Das war letztendlich der Auslöser für meine Versuche, Berge nicht nur zu erwandern, sondern auch zu erlaufen.

 

Freitag, 4.10.:

Abfahrt vom Wiener Westbahnhof. Im Gepäck Laufschuhe, Laufbekleidung, Lauf…, Lauf… und sonst? Nicht der Rede wert. Sonnenschein, übrigens, als der Zug Fahrt aufnimmt. Ankunft in Söll gegen Mittag allerdings im Regen, die Berge rundherum in Nebel gehüllt. Müsste nicht sein. Zunächst ins Tour de Tirol-Dorf, um die Startunterlagen abzuholen. Sonja für ihren 10er, ich für das Gesamtpackage. Noch ca. 4 Stunden bis zum Start des „Söller Zehner“. Ab ins Apartment und Ruhe einkehren lassen. Alle 10 Minuten der Blick aus dem Fenster, regnet es noch? 17:30 Uhr: Sonja und ich machen uns auf den Weg zum Start. Der Regen hat aufgehört. Es herrscht bereits reges Treiben, jedoch keine einzige Person, die ich kenne. Kein Small Talk. Ungewöhnlich. Ist für mich die Ultralaufszene schon eine Art Familie, wo jeder jeden kennt, egal ob in Wien, Steyr, Vogau, Irdning, Lassee, …, sind mir hier alle TeilnehmerInnen – noch - fremd. Eine neue Erfahrung.

18:00 Uhr: Start! Hirn an Beine: „Hiergeblieben!“ Die Verrückten wollen los, als ginge es darum, dem späteren Sieger des 10ers, einem Kenianer, ein heißes Duell zu liefern. ;-) 3 Runden mit insgesamt 222 Höhenmetern rund um und in Söll, abwechselnd Asphalt, Schotter und Wiese (mit Kuhfladen!). Ich halte meine Beine unter Kontrolle, gebe ihnen keine Chance, mir zu entkommen. Erste Runde absolviert. Ich bin sehr gut drauf und laufe locker mein Tempo irgendwo im Mittelfeld. Zweite Runde mit Sonnenschein auf den Bergen rundherum. Auch den Augen wird hier etwas geboten. Laufen macht Spaß. In der dritten Runde dürfen sie ein wenig, die Beine, damit war diese dann die schnellste. Was soll’s, ich will es mir mit ihnen nicht ganz verscherzen. Auch Sonja kommt gut über die drei Runden und gemeinsam geht es zurück ins Quartier. Abendessen nur bis 20:00 Uhr. Es ist sich ausgegangen.


 

Samstag, 5.10.:

Heute wird es wirklich ernst. Kaisermarathon mit 2.160 Höhenmetern. Am Vortag mit Müh und Not ein vorgezogenes Frühstück ausgehandelt: 07:15 Uhr. Tee mit 2 Marmeladesemmeln, mehr will ich meinem Magen nicht zumuten. Wetter so la la, allerdings ist ab der Mittagszeit Regen angesagt. Wieder runter ins Tour de Tirol-Dorf. 9:20 Uhr: Läuferbesprechung mit Beschreibung des Streckenverlaufes (Im Nachhinein: Glaub nie, aber nie, einem Tiroler, wenn er dir etwas von einer flachen Strecke erzählt. Genau das hätte sie sein sollen bis zur Halbmarathonmarke in Ellmau. Real ist es ab 09:30 Uhr ein ständiges Auf und Ab, wenn auch gut laufbar).

Ellmau bringt die Wende. Gehen wird in mein Repertoire aufgenommen. Über steile Bergstraßen und Wanderwegen geht es 750 m höher auf den Hartkaiser. Immer wieder versuche ich zu laufen, bleibe dabei aber vorsichtig, denn das dicke Ende kommt ja noch. Das Wetter wird schlechter. Nebel zieht auf. Es beginnt zu regnen. Die Steigungen wollen kein Ende nehmen. Hinter jeder Biegung erhoffe ich endlich in flacheres Gelände zu kommen. Fehlanzeige reiht sich an Fehlanzeige. Vereinzelt sorgen zumindest einsame in Regenponchos gehüllte Wanderer für Abwechslung. Was die sich wohl denken? Irgendwann endlich ein erstes Oben. Durchatmen. Sammeln. Essen und Trinken. Weiter geht es, nunmehr wieder vermehrt im Laufstil, oder was davon zunächst noch übrig ist. Jetzt haben wir einen Abschnitt vor uns, der über Wanderwege ohne extreme Steigungen ein paar Kilometer über den Berg führt. Sicht eingeschränkt, weiter Regen und es wird windiger. Ein wenig wird mir nun auch kalt, aber es gelingt mir, dieses Gefühl zu ignorieren. Gutes Mittel dagegen: etwas schneller werden.

Wirklich schnell, natürlich für meine Verhältnisse, werde ich dann, als es ein paar Kilometer runter zum Hexenwasser geht. 400 Höhenmeter werden abgearbeitet. Ab jetzt überhole ich Läufer um Läufer. Erstaunt stelle ich fest, dass Bergläufer in meiner Preisklasse keine guten Bergabläufer sind. Denke, ich überhole bis zum Hexenwasser = Mittelstation der Gondelbahn zwischen 30 und 40 Läufer. Das motiviert unendlich. Hallo Adrenalin, freu mich, dass du da bist. KM 39: Hexenwasser. Noch gut 3 km, aber was für welche. Ich bin aufgeputscht. Der Sprecher erwähnt meinen Namen und philosophiert über das ULT Heustadlwasser. Sonja und Bastian, der ist morgen beim Halbmarathon dran, versorgen mich mit Getränken und Gels.

Weiter geht’s: Noch 3 km, aber 700 Höhenmeter. Ein Wahnsinn. Aber ich bin geil drauf. Ich komm da rauf und wenn es auf allen Vieren ist. Eine Stunde habe ich mir ihm Vorfeld dafür vorgenommen. Es sollte sich also eine Endzeit unter 5 Stunden ausgehen. Schwarze Piste. Skifahrer - ich bin keiner! - wissen, was das heißt. Allerdings war da jetzt nichts schwarz: Braun, soweit das Auge reicht im dichter werdenden Nebel. Bis es wirklich auf diesen Hang geht, versuche ich auf dem steil nach oben führenden Schotterweg immer wieder kurz zu laufen. Die Versuche sind dann aber rasch beendet, als die Absperrung auf den Berghang verweist. Bitte, wie soll das „gehen“? Schlammpiste, alles steht unter Wasser. Aber egal, hinein in den Dreck. Wie Schmierseife. Rutsch- und Gatschpartie. Schritt für Schritt. Die Markierungen sind jetzt alle halben Kilometer. Dazwischen immer eine Unendlichkeit, wie mir scheint. Und man sieht sie nicht, erst dann, wenn man unmittelbar davorsteht. Schritt für Schritt. 40, 40,5, nochmals Verpflegung, irgendwer taucht aus dem Nebel auf und bietet eine wärmende Alufolie an. Nein! 41, 41,5, 42, ich sehe noch immer kein Ziel, höre nur den Sprecher. Dann endlich, gefühlte 5 Meter davor, sehe ich den Zielbogen. Nochmals ein paar Laufschritte. Durch! Wunderbar. Sonja und Bastian erwarten mich. (Die hatten es leichter: Gondel.) Ich bin total happy. Was für ein Spaß. Nun aber schnell: Kleiderwechsel. Shirt über Shirt, Pullover, Jacke und noch eine Jacke, Haube, Handschuhe. Suppe, Tee. Ich bin ausgepowert. Aber …

Mit der Gondel geht es nach unten. Mir klappern die Zähne. Was soll’s. Ich habe es geschafft. Bei der Mittelstation angekommen, wundern wir uns, weil wir viele LäuferInnen sehen, die bei km 39 das Rennen beenden. Für mich unverständlich. Erst im Nachhinein klärt sich Alles auf: das Rennen wurde nach ca. 200 LäuferInnen wegen der Wetterverhältnisse abgebrochen. Ich hatte Glück. Es folgt Badewanne, hatten wir auf dem Zimmer, Abendessen (mit Bier!) und ins Bett. Müde, aber trotzdem nur schwer einschlafend. Immer wieder „laufen“ die letzten 3 km ab. Super war’s.


 

Sonntag, 6.10.:

Kein Stress beim Aufstehen. Start erst um 13:00 Uhr. Also „normales“ Frühstück. Müde. Es ist wohl besser, wenn ich in Bewegung bleibe. Also um 10 Uhr wieder runter ins Tour de Tirol-Dorf, in dem es auch eine kleine Sport-Messe gibt. Schon mal belohnt: Ein paar Laufschuhe von Scott (Wenn ich den Halbmarathon nicht schaffe, gebe ich sie wieder zurück ;-) ) Knapp vor 12 Uhr kommt Bastian. Für ihn ist das heute der Tag der Tage. Sein erster Halbmarathon. Ich bin gespannt. Ich scheine allerdings nervöser als er zu sein. Komisch. Mein Körper signalisiert Erschöpfung und ich mache mir Sorgen, dass der Halbmarathon eine Tortur wird. Was mir hilft: meine Startvorbereitungsrituale.

13:00 Uhr: Start. Es ist bewölkt, während des Laufs sollte hin und wieder sogar die Sonne durchkommen. 7 Runden flach mit lächerlichen 42 hm. Ha ha. Sogar mein Hirn kann sich nun seine Befehle an die Beine ersparen. Die wollen nicht mehr auf und davon, sondern nur irgendwie überleben. Und: Ich will eigentlich keine Runden laufen (Übrigens: Nächstes Jahr wird mir dieser Wunsch erfüllt, gute 20 km mit über 1.000 Höhenmeter sind stattdessen in Planung für den letzten Tag).

Erste Runde: Es geht überraschend gut bei verhaltenem Tempo. Zweite und dritte praktisch ident. Zum ersten Mal Bastian begegnet. Er ist gut drauf. Vierte Runde. Jetzt bin ich mir sicher, ich schaff das und es kommt sogar eine gute Zeit raus. Fünfte und sechste Runde: ein wenig das Tempo steigern. Siebte und letzte; es geht noch mehr. Nochmals Bastian auf der Runde getroffen. Ziel. Tiefe Zufriedenheit. Aus meiner Formel: 50 – 5:00 – 1:50 ist 45 – 4:43 – 1:38 geworden. Sakra di!

Auch Bastian schafft es bei seinem ersten Halbmarathon ins Ziel. Und wie. Gelaufen wie ein Uhrwerk, ohne Durchhänger, mit beinahe identen Rundenzeiten. Super.

Ein paar Bilder zur Tour de Tirol.