Zum 46. Mal laufe ich über die Ziellinie, und es sind 42,195 km. Ein Marathon. Und dann ich laufe weiter:

In diesem Moment werde ich zu einer Ultraläuferin. 

Montag abend 19 Uhr beim Schottenring?“, schrieb mir Egon im August 2018. Es war ein richtiges Blind-Date an einem heißen Sommerabend. Ein Laufdate. 

Kurz davor habe ich mich entschlossen, im Herbst meinen ersten Marathon zu absolvieren und habe Gesellschaft für die Long-Jogs gesucht. Egon hat mir gleich beim ersten Lauf vorgeschlagen, mich an einen Ultralaufverein anzuschließen. Meine damalige Antwort hab ich in unserem Schriftverkehr gefunden: „Haha, das mit dem Ultralauf ist nett“. Ehrlich gesagt war ich verblüfft. Ich und Ultralaufen? Geht’s noch?! 

Eine Woche später war ich aber schon beim ersten Langsamlauftreff dabei. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Geburt von Leno war ich dann fast jeden Mittwoch mit dabei. Logischerweise wurde ich auch Mitglied des Vereins ULT Heustadlwasser. Das Wort „Verein“ ist allerdings ein unangebrachter Ausdruck. Ich hab mich ab den ersten Wochen eher als Teil einer Familie gefühlt. Einer Ultralauf-Familie, in der Kleinigkeiten, wie noch nie einen (Halb)Marathon oder Ultramarathon gelaufen zu sein, tatsächlich nebensächlich sind. 

Ab September 2019 bis Ende 2020 konnte ich keine längeren Läufe machen. (Abgesehen vielleicht vom Vienna Winter Trail mit 24 km und ca. 800 hm, was man jedoch in einer solchen Familie eher als ein angenehmer Wochenend-Lauf betrachtet. Auch in der 13. Schwangerschaftswoche.) 2021 waren immer wieder längere Distanzen dabei, ich hätte mir aber nicht zugetraut, einen Marathon zu laufen. Zu Weihnachten habe ich von meinem Mann Christian als Motivation zwei Halbmarathon-Anmeldungen geschenkt bekommen. Der erste Halbmarathon, für den ich seit Jänner mit Leno brav trainiert habe, hat vor einer Woche stattgefunden.

Nach dem Halbmarathon gönnte ich mir ein paar Tage Pause. Gut erholt fuhr ich am Samstag nach Langenzersdorf, um einen freien Tag zu genießen und die Mitglieder unseres Vereins anzufeuern. Sicherheitshalber waren Laufschuhe, Essen und Wasserflaschen in meinem Gepäck, man weiß ja nie. Perfektes Wetter, tolle Stimmung und Organisation, nette Gesellschaft, schöne Lage: Was will man mehr? 

Bin ich vorbereitet? Nein. Bin ich bereit? Ja. Und plötzlich ist es 14 Uhr und ich fange an zu laufen. 

40 Runden. 4 Stunden sind vorbei. Und ich laufe weiter. 

Ich war ca. 6 Jahre alt, als ich schwimmen gelernt hab. Ich bin dadurch kein besserer Mensch geworden, aber mein Leben hat sich trotzdem ein wenig geändert. Und auch wieder nicht.

Ursprünglich wollte ich nach dem Marathon nur noch gehen. Unsere Vereinsmitglieder waren zu dieser Zeit schon seit über 10:30 Stunden unterwegs. Unvorstellbar, was diese Menschen leisten! Motiviert von diesen tollen Läufern und denen, die uns den ganzen Tag schon unterstützt haben, wollte, besser: konnte ich einfach nicht aufhören. Und so bin ich weitergelaufen.

Nur noch drei Runden und dann habe ich 50 km geschafft. Unerwartet höre ich eine bekannte Stimme, die ich schon seit vielen Monaten nicht mehr gehört hab. Egon ist da. Und ich weiß schon, dass er mich nach dem Lauf beglückwünschen und seine Witze machen wird. Ich freue mich darauf. Doch bis dahin laufe ich weiter, überhole oder werde überholt, lache, genieße diese neue Erfahrung, genieße meinen freien Tag, die kühler werdende Seeluft, erlebe etwas… 

…etwas Unbeschreibbares. Ich bin Ultraläuferin geworden.