"Nur eine Runde". Das ist das Motto des UltraBalatons, der jedes Jahr im Mai rund um den größten See Mitteleuropas stattfindet. Das Teilnehmerlimit beim Teamlauf wird im Herbst davor innerhalb weniger Stunden erreicht. Die "nur eine Runde" beträgt übrigens 211 km. Wir sind in einer Dreier-Staffel angetreten. Wir haben die Runde einfach in drei Strecken aufgeteilt: Jede:r durfte etwa 70 km laufen. Am Stück. 

 

Unser Staffelteam “ULT Heustadlwasser” besteht aus einem begeisterten Ungarn, der seinen ersten Ultra läuft (Attila), einem erfahrenen und sehr zuverlässigen österreichischen Ultraläufer (Heinz) und einer Mutter von zwei kleinen Kindern (Zita), die seit zwei Jahren Ultraläuferin ist.

 

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Von Zita: Freitagmorgen 7:25 Uhr. Attila und ich sind am Start, Heinz fährt aus dem Waldviertel in etwa 3,5 Stunden los. Es tröpfelt, die Wellen am Balaton, viele Kindheitserinnerungen, diese wunderschöne Landschaft erwarten mich heute. Langsam wächst die Vorfreude auf die Reise ins Ungewisse. Wir beginnen zu joggen. Nach ein paar Minuten strategischer Besprechung verabschiedet sich Attila und macht sich auf den Weg zur Maturafeier seiner Nichte.

 

So bleibe ich für die nächsten 70 km mit meinen Gedanken allein. Vorerst schalte ich keine Musik oder Hörbücher ein. Heute wird es Zeit für alles geben. Wie sonst könnte man einen freien Tag besser verbringen, als eine neue Erfahrung zu sammeln?

 

Ich bin unserem Team dankbar. Zu diesem gehört neben den Läufern auch mein Mann Christian (“Marathondistanz reicht mir vollkommen, ich laufe NIE weiter”), der sich um die Kinder kümmert. Meine Schwester Gabi, die ihn aus Österreich an den Balaton gefahren hat. Meine Mutter, die sich ebenfalls um die Jungs kümmert und im Hintergrund aushilft. Martin, der unser Kinderarzt ist und zu jeder Tageszeit zur Verfügung steht, wenn wir uns Sorgen machen.

 

Fünf Tage vor dem Lauf wurden unsere Jungs (L1 & L2) natürlich nacheinander krank. Nach vier Nächten ohne eine ganze Stunde Schlaf, um 3 Uhr in der Nacht vor dem Start (Tiefpunkt!) übernahm Christian L2 und ich bekam ganze 1,5 Stunden Schlaf in einem Stück. Also versuche ich mich beim Laufen darauf zu konzentrieren, dass dies eine gute Vorbereitung für einen längeren Ultralauf sein könnte. 

 

Christian ist immer sehr gelassen. Genau vier Stunden nach dem Start ruft er mich jedoch an, um zu fragen, wie lange ich noch ohne Essen aushalte (ich habe Zöliakie), weil L2 Fieber hat. Sie würden also nur einmal kommen, um mir zu helfen (und damit ich L2 anlege), und ich müsste nach dem Lauf anders nach Hause fahren.

 

Zu diesem Zeitpunkt beschließe ich: "Ich werde NIE WIEDER sowas tun, außer wenn die Kinder groß sind.” 

 

 "Ich kann auch schneller laufen, wenn es sein muss" - überlege ich nach etwa 35 km. Ich rufe Heinz an. Ohne nachzudenken, verspricht er, eine Stunde früher am Übergabeort zu sein. Ein paar Stunden später helfen mir Heinz' Tochter und ihr Zukünftiger aus, damit ich so schnell wie möglich zu den Jungs nach Hause komme. Meine Mutter muss ihren Tag gar nicht umstellen, um mich abzuholen. Die hat bereits seit meiner Kindheit viel Übung darin, ihren Zeitplan nach mir zu richten…

 

Von Heinz: Balaton war nicht geplant

Als Erwin seinen gebuchten Ultrabalaton Start 2024 (in einer 3er Staffel) wegen Vorbereitung für die 48h von Gols absagte, musste ein Ersatz her. Der war in mir schnell gefunden. Organisatorisch war es so geplant: Zita startet am Fr. 3.5. um 7:15 Uhr, ich übernehme um ca. 17:00 Uhr, Attila, der dritte im Bunde dann spätestens 1:00 in der Früh. Zita startete pünktlich (gestartet wurde nicht im Massenstart, sondern zeitversetzt, vom Organisationsteam eingeteilt)

Für uns ging es um 11:00 Uhr los, vom österreichischen Weinviertel nach Ungarn mit dem Auto zu fahren. Geplant war: drei Stunden Fahrt, einchecken im Hotel, dann Fahrt zur Startübergabe. Damit bliebe genug Zeit sich mental vorzubereiten.

Die Veranstaltung ist bestens organisiert. Alle 5-7 km ein Verpflegungsstand, die auch immer gut bestückt waren. Nette Leute, Teilnehmer und Betreuer:innen. Die Zeit verging wie im Flug - man hatte auch nie das Gefühl alleine auf der Strecke zu sein, ständig waren Leute hinter oder vor mir, auch viele Begleiter mit dem Rad waren unterwegs – in Erinnerung bleiben wird mir auf alle Fälle die Anfeuerungsrufe „Hajra, Hajra …“ (Go go..) – klang für mich immer wie unser bekanntes “Oida, Oida”.

Bei km 20 und 50 hatte ich mit meiner Tochter ausgemacht, dass wir uns treffen, um etwaige Selbstverpflegung oder Shirt zu wechseln. Zwischendurch meldete sich Attila in unserer WhatsApp Gruppe, um mir mitzuteilen, wo sein Auto stand, das ich dann übernehmen und ans Ziel bringen sollte. Er fragte auch nach der Uhrzeit, wann ich beim Übergabeort (Kilometer 138,8 in Szantod) in etwa sein werde, damit er sich darauf einstellen kann. Danach meldete er sich nochmals:

Attila: Heinz, wann denkst du wirst du in Szantod ankommen?
Zita: Zwischen 23 und 24 Uhr
Attila: Zita, kannst du mir bitte die Telefonnummer von Franz schicken?
Zita: Unser Franz heißt Heinz, aber nach 70 km wird es ihm sicher nichts ausmachen, wenn du ihn als Franz ansprichst.

Erschöpft oder müde war ich nicht wirklich, daher machte die Rückfahrt mit Attilas Mini Cooper zum Startgelände (ca. 1h Fahrt) keine Probleme. Mein Fazit: Eine Wiederholung steht im Raum. Ob ich die ganze Strecke von 211 km einmal laufen werde, steht in den Sternen.

Auf alle Fälle ist die Gegend um den Balaton wunderschön und lädt zum Urlauben ein.

Köszönöm és hamarosan találkozunk!

 

 

Von Attila: Was ich fühlte, kann ich schwer in Worte fassen. Aber diejenigen, die an ähnlichen Sportveranstaltungen teilnehmen, wissen ganz genau, welche Emotionen man erlebt. Euphorie, aber nicht nur wegen des Adrenalins, sondern auch deswegen, weil wir etwas mit so vielen anderen erleben, und natürlich auch wegen der wunderbaren Landschaft. 

 

Man fühlt ein besonderes Selbstvertrauen vor dem Event, das nach einer schwächeren Leistung während des Trainings manchmal durch Zweifel ersetzt wird. Insomnia vor den Tagen des Startes. Normalerweise kann ich am Tag vor dem Start nicht schlafen. Jetzt waren es  zwei Tage mit nur vier Stunden Schlaf gewesen.

 

Ich bin Heinz und Zita sehr dankbar, dass sie in so einem sagenhaft schönen Tempo liefen, denn so sparten sie mir extra Zeit. Ich war tatsächlich so schläfrig, dass ich beim Laufen hätte einschlafen können. Um Mitternacht erhielt ich das Armband als  Stafettenstab  nicht weit von der berühmten Fähre in Szántód; und die Dunkelheit endete erst nach fünf Uhr im Morgengrauen. Heinz, der seine Strecke beendet hatte, sah am Ende des 70. Kilometers besser aus als ich am Beginn meiner Strecke. Die Müdigkeit verging erst, als ich bereits die Wärme der Sonne spüren konnte. Jedoch war es wunderbar. Die Batterie meiner Uhr war – ebenso wie ich – sehr nah zu Null. Eine letzte Nachricht sendete ich an Zita und Heinz: „- Ich bin langsam.“ Und sofort lautete die Antwort: “Du wirst es schaffen.” 

 

Ich kam an dem vorletzten Ort an, er heißt Csopak und ist wegen der Weißweinsorte Welschriesling berühmt. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mich kaum bewegen und es schien mir so, als ob diese kleine Siedlung mit der Fähre, wo ich startete, bis zum Ziel in Balatonfüred, die ganze Straße entlang des Plattensees ausfüllen würde. Irgendwie waren mir die Schuhe voll mit Csopak und Welschriesling.. Ich habe meinen Realitätssinn verloren. „Ich werde mal an der Ecke der nächsten Straße einbiegen, und ganz plötzlich befinde ich mich fast vor dem Ziel“ – dachte ich mir. „Es kommt noch die schönste Strecke an der Tagore-Promenade, wo ich einen Blick an den anderen Ufer werfen werde." Und dann erschien Zita. „- Wie gut, dass ich schon im Ziel bin.“ – Sagte ich ihr. „Bis zum Ziel sind es noch 8 km“, lautet Zitas desillusionierende Antwort; aber sie lachte so heftig, dass ich dachte, sie scherzt nur. „ - Diese Strecke übernehm’ ich mal von dir“, sagte sie lachend. Sie begann ihre Strecke am vorigen Tag um sieben Uhr morgens; Mitten auf ihrer eigenen 68 km hatte sie wegen ihrem jüngeren Sohn Laron, um den sich ihr Mann kümmerte, noch Zeit, anzuhalten; und weil der kleine Fieber hatte, lief sie aus mütterlicher Liebe eine Stunde besser als geplant. Und jetzt rennt sie hier wieder neben mir; lacht, übernimmt das Armband von mir; und sie drückt mir den Autoschlüssel seiner Mutter Mária in die Hand. "- Fahr‘ es nicht kaputt!" Sagt sie und lacht die ganze Zeit, und lachend und dynamisch startet sie die restlichen 8 Kilometer. 

Mit großer Mühe parke ich das Auto neben dem Zelt der Organisatoren und krieche ich fünfhundert Meter zurück. Und dann kommen Heinz und Zita in ihrem erstaunlich schnellen Tempo: „Lauf mit uns! Bis zum Ziel!“ Und mit schmerzenden Füßen versuche ich, ihr Tempo zu halten.

 

 

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Ultralauf ist ein echter Teamsport: Vertrauen, Organisation, koordinierte Arbeit, Toleranz und gegenseitige Unterstützung. Ohne diese wäre es für mich als Frau undenkbar, mit zwei kleinen Kindern an einer Laufveranstaltung teilzunehmen. "YoUB never RUN alone." Sehr passend finde ich das diesjährige UltraBalaton-Motto.

 

Nach dem UltraBalaton ist immer vor dem nächsten UltraBalaton, wie es unser Freund Woody vor ein paar Jahren formulierte. 

 

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Frau Zita:

"Wir KÖNNTEN in einer Zweier-Staffel mal laufen, aber ich weiß nicht, wer sich um unsere Kinder kümmern wird..."

 

Mann Christian:

"...solange einer von uns läuft, kann sich der andere sowieso um sie kümmern."