Eigentlich könnte ich jetzt mit dem Laufen wieder aufhören.

Denn als ich vor recht genau zwei Jahren entschied, etwas gegen meine Körperfülle im dreistelligen Kilogramm-Bereich zu unternehmen, lautete der Fahrplan: Wien-Marathon im Frühjahr 2017, Traillauf und Tour de Tirol im Herbst 2017. Es kam dann doch anders, ich verletzte mich und musste die Tour auf, nun ja: jetzt, verschieben.

Fazit: Gelaufen. Beendet. Abgehakt.

SÖLLER ZEHNER

Es war ein Erlebnis der besonderen Art. Zusammen mit meiner Frau ging es Freitag am späten Vormittag in Wien los, wir checkten gegen 14 Uhr in der „Hexenalm“ ein; der 10-km-Wettbewerb am Abend sollte ein lockeres Einlaufen werden. Ich traf die Vereinskollegen Anne, Gabriele und Erwin und auch Sofia, deren Begleiterin. Gute Lauffreunde wie Michael und Georg waren auch da, der Schmäh rannte. Wir laufen einen Sechser-Schnitt, lautete unsere Devise. Na ja. Letztlich hatte es jeder/jede etwas eilig, und bei knapp 300 Höhenmetern, die die Strecke aufwies, unter einer Stunde zu bleiben (oder unter 50 Minuten, wie es Erwin tat!), hatte auch einen gewissen leistungssportlichen Ansatz.

Aber, wie gesagt, nur ein Einlaufen.

KAISERMARATHON

Zurück im Hotel bereitete ich Klamotten, Laufrucksack, Verpflegung usw. usw. für den Kaisermarathon vor. 42 km, 2345 Höhenmeter (aber die Zahl scheint etwas gekünstelt, wie ein beliebtes, oder beliebiges, Passwort) standen am Samstag auf dem Programm. Mein Plan war klar, ich wollte die Finish Line auf der Hohen Salve unter sieben Stunden, also vor dem offiziellen Zielschluss, erreichen. Dies bedeutete eine Pace von 10 min/km und mit diesen Zahlen lief ich los. Die ersten zwölf Kilometer blieb ich unter meiner Vorgabe, und fleißig addierte ich Minute um Minute auf meinem Haben-Konto. Es ging über Asphalt und Schotter, die Wege wurden immer wieder nur kurz von Trails abgelöst. Nicht mein Terrain, aber für negative Gedanken war kein Platz.

Das stete Auf und Ab der Strecke bescherte mir auf der zweiten Hälfte Kilometerzeiten zwischen 7 und 23 Minuten. Ich plauderte mit Stephan aus Basel, der im Vorjahr bei allerschlechtesten Bedingungen den dritten Time-Cut nicht geschafft hatte und aus dem Rennen genommen wurde. Doch bei dieser 13. Ausgabe, an der ich teilnahm, herrschte Kaiserwetter beim Kaisermarathon, ich erreichte das Hexenwasser in der vorgegebenen Zeit, lief durch die Zeitkontrolle – und verschwand für fünf Minuten auf die Toilette.

In den Kilometern zuvor hatten mich Magenkrämpfe geplagt, weswegen ich einige Downhills nicht so laufen konnte, wie ich es gerne gewollt hätte. Kurzzeitig dachte ich auch daran, hinter den Büschen zu verschwinden. Als ich das WC verließ, kam ein anderer Läufer herein. „Wird noch eng, unter sieben Stunden zu bleiben“, meinte er. Ich beschleunigte meinen Schritt.

„Nächstes Jahr läufst auch du mit“, schlug ich scherzend einem Mädchen vor, das am Straßenrand stand. Hilfesuchend klammerte es sich an die Hand der Mutter. Diese lachte. „Kann’s mir nicht vorstellen, sie müht sich gerade mit diesem Hügel ab…“ Bei Kilometer 39 kam mir meine Frau entgegen, und wie am Gornergrat beim Zermatt-Marathon munterte sie mich auch hier auf. „Das wird knapp, aber du schaffst das mit den sieben Stunden.“

Die letzten Kilometer sind etwas fies an der Hohen Salve. Du siehst das Ziel von unten, musst aber um den Berg herumlaufen und den letzten Kilometer von der anderen Seite in Angriff nehmen. Dann fehlen noch 195 m, sie verlaufen größtenteils eben, ehe es den Zielkanal hinauf geht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich es schaffen würde, beschleunigte aber sicherheitshalber nochmal. Die Ergebnisliste wies mich mit 6:58,12 Stunden aus.

PÖLVEN TRAIL

Das Panorama beim Kaisermarathon ist bei schönem Wetter schlichtweg sensationell, der Wettbewerb absolut zu empfehlen, doch ich gestehe, dass Asphalt-Straßen und breite Schotterwege meine Freude etwas gedämpft haben. Mehr und mehr erkenne ich, wie sehr ich die Trails liebe.

„Wie sieht dein Plan für heute aus?“, fragte mich meine Frau am Abschlusstag der Tour de Tirol. Ich zuckte mit den Achseln. „Kein Plan. Irgendwann zwischen 4 und 4:30 Stunden im Ziel sein.“ Sie schien etwas verwirrt. „Für den Marathon hast du mit Kilometerzahlen hin- und hergerechnet, und jetzt hast du keine klare Vorstellung?“ Vielleicht war ich etwas zu arrogant. Aber ich war mir ziemlich sicher, beim Pölven Trail keine (Zeit-)Probleme zu haben. (Okay, das war wirklich arrogant.)

Es nieselte, als der Startschuss fiel, doch während der nächsten Stunden regnete es nicht oder kaum. Die 23 km lange abwechslungsreiche Strecke führte über sehr wenige Asphalt- und Schotterpassagen und fast ausschließlich über Trails. Mir ging das Herz auf. Nachdem ich ein wenig Sicherheit in den Bergabpassagen gewonnen hatte, stürzte ich mich jeden Hang hinunter. Zuweilen schien mir, als hätte der Marathon tags zuvor gar nicht stattgefunden. Den Time-Cut von 2:30 Stunden nach 13 Kilometer schaffte ich locker und genoss im Steinbruch Bad Häring, wo ein Frühschoppen eingerichtet war, einen halben Becher Weißbier. Dann stürmte ich weiter, hinauf zum Juffinger Jöchl, hinunter Richtung Ziel. Doch einige Uphills hatten es noch in sich und machten meine verwegenen Gedanken, eventuell gar unter 3:30 Stunden zu bleiben, wieder zunichte.

Nichtsdestotrotz wurde der Pölven Trail zu einem meiner bislang schönsten Lauf-Erlebnisse. So muss Trail! In 3:40,53 Stunden war ich im Ziel und wurde von meiner Frau herzlich umarmt. „So früh hab ich dich nicht erwartet“, sagte sie. „Ich mich auch nicht“, antwortete ich glücklich.

Gabriele und Anne hatten an allen drei Tagen Top-Leistungen erbracht, während Erwin beim Marathon aufgeben musste und am Sonntag nicht mehr antrat. Es ist der einzige Wermutstropfen eines schönen ULT-Auftritts in Tirol, bei einer bestens organisierten, familiären und empfehlenswerten Veranstaltung.

Wie gesagt. Ich könnte jetzt eigentlich mit dem Laufen wieder aufhören.
Aufhören, wenn Ziele erreicht sind und wenn es am Schönsten ist.

Aber nach diesem Pölven Trail? Are you kidding me?