Sierre-Zinal ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Berglauf. In 2024 gibt es schon die 51. Auflage. Damit ist es einer der ältesten und prestigeträchtigsten Bergläufe der Schweiz. Seit einigen Jahren gehört er zudem zu den Golden Trail Series und kann im Rahmen der World Series die Traillaufelite anlocken. https://www.sierre-zinal.com/de/homepage.html
Trotzdem geht es dort nicht nur um die Elite. Das besondere Format, die Aufteilung des Laufs in Touristen und Läufern ermöglicht ein Volksfest im Ziel Zinal, das seinesgleichen sucht. Für diese Ausgabe haben sich u.a. Kilian Jornet, Maude Mathys, Rémi Bonnet und Sophia Laukli angemeldet. Die starke Konkurrenz von run2gether natürlich auch.
Die Strecke: Sierre oder Siders liegt an der Sprachgrenze im Wallis. Von dort startet der Lauf oberhalb des Tales d'Anniviers über ca. 31km und 2200 positiven sowie 1000 negativen Höhenmeter bis in das Bergdorf Zinal. Beworben wird der Lauf als der Lauf der fünf 4000er, da man an einigen Stellen einen Blick auf die grandiose Walliser Berglandschaft bekommt. Er gilt trotz der Höhenmeter und den teilweise technischen Teilen als schneller Lauf. Die Bestzeit der Herren von Kilian Jornet liegt bei unglaublichen 2:25h, der Damen bei 2:45h. Dank der Golden Trail Series ist die Strecke auf Youtube bestens dokumentiert. Es gibt einen Lifestream und Zusammenfassungen. https://www.youtube.com/watch?v=XPG3KNtrL3E
Wenn man einen der begehrten ca. 7000 Startplätze ergattert (laut Datasport insgesamt 7299 Starter bei allen Kategorien mit einem Frauenanteil von knapp 1/3) - dafür muss man einfach pünktlich bei der Öffnung des Portals online sein und sein Glück versuchen, keine Stones, keine Lotterie - kann man sich aussuchen, ob man als Läufer oder Tourist starten möchte. Empfohlen wird die Läuferkategorie mit einer Zielzeit bis 4:30h. Als Läufer startet man nach dem Elitefeld um 11h und kann für den UTMB Stones erlaufen. Als Tourist gibt es einen Start zwischen 4:45h und 6:15h am frühen Morgen. Dafür gibt es keine offiziellen Platzierungen, keine Stones, keine Altersklassen, einfach nur Laufspaß pur mit anschließender Party in Zinal und dem Anfeuern der Elite. Technisch gesehen gibt es fast keine Cutoffs; das Hotel Weißhorn bei KM 20 sollte der Tourist um 13:30h passiert haben.
Nach einer hartnäckigen Verletzung in 2021 habe ich mich 2022, als ich 5 Monate in Lausanne war, noch nicht getraut, diese Strecke anzugehen. Klar war aber, dass ich meine alte Regel – ein Schweizer Lauf im Jahr – gerne wieder aufnehmen wollte. Im April war ich pünktlich bei der Anmeldung und der Startplatz schnell gebucht. Sierre ist relativ klein, so dass es leider keine Übernachtungsmöglichkeit mehr am Start gab. Trotz des sehr frühen Starts gibt es aber mehrere frühe Züge, sogar einen Sonderzug des Veranstalters, so dass man öffentlich auf jeden Fall rechtzeitig an den Start kommt, wenn man in einen der Walliser Orte entlang der Bahnstrecke wohnt. Ich fand ein Hotel im nahe liegenden Sion, wunderschön und nur 10 Zugminuten von Sierre entfernt.
Am Vortag konnte man schon schön Berglaufluft bei der Startnummenrabholung schnuppern. Es gab für die 95 CHF Startgeld eine Dokumentation zum Lauf, Sierre-Zinal-Laufsocken sowie Gutscheine für ein individualisiertes Finishervideo, ein 3-Gänge-Essen im Ziel, und der Rücktransport von Zinal nach Sierre.
Der Start selbst ist außerhalb der Innenstadt. Am frühen Morgen fahren Shuttlebusse vom Bahnhof die Läufer nach draußen. Meine Tagwache war daher schon um 3:40, aber ich konnte angesichts der Hitze im Wallis sowieso nicht schlafen. Im Zug traf ich auf viele Teilnehmer, die wie ich noch alle recht müde wirkten. Ich war recht früh am Startgelände und konnte noch den Start der früheren Startblöcke beobachten. Ich selbst startete um 6:00 im Startblock 5 von 6, weil ich meine geschätzte Zielzeit konservativ mit 6h angegeben hatte. Es war so früh schon so warm, dass man sich Jacken usw. sparen konnte. Der Tag versprach im Tal bis 34C.
Auch wenn es keine Pflichtausrüstung gibt, haben fast alle Läufer Laufrucksack mit genügend Wasser dabei. Die frühen Starter brauchen noch eine Stirnlampe, da die Sonne erst um 6:20 aufgeht. Um es vorweg zu nehmen: es gibt viele Verpflegungsstationen, so dass ein schneller Läufer auch ohne Rucksack auskommen würde. Genügend Wasser war trotzdem eine gute Idee.
Mein Startblock war gut gefüllt, darunter recht viele Damen. Allerdings schien mir das Durchschnittsalter eher jung zu sein. Plötzlich war meine Müdigkeit verflogen und eine erfreute Anspannung machte sich bei mir breit. Stimmungsvoll ging es pünktlich mit dem Startschuss los.
Ich hatte mich angesichts des vollen Blocks ad hoc entschlossen, mich möglichst vorne einzureihen, weil ich tendenziell mit den steilen Anstiegen besser zurechtkomme und am Anfang zunächst über 1200 Höhenmeter am Stück steiler Anstieg anstand. Nach wenigen Metern geht es in den Wald und die Strecke teilt sich, weil es für die Touristen noch eine Ausweichstrecke zur Originalstrecke gibt, die ca. 500m länger ist, aber natürlich die identischen Höhenmetern hat. Ich entscheide mich für die Originalstrecke und habe eine Handvoll Läufer vor mir. Ab jetzt wird nur noch recht steil bergauf gegangen. Laut Beschreibung hat die steilste Stelle 40%. Ich komme schnell in meinen Flow und sammele die Läufer vor mir relativ flott ein. Auch wenn der Weg recht eng ist, ist es angesichts des langsamen Tempos oft möglich zu überholen. Nach ca. 15min sind nur noch zwei Läufer aus meiner Gruppe vor mir. Nach 20 Minuten treffe ich schon auf die ersten Läufer der Gruppe vor uns, so dass ich dann relativ bald im Pulk der Gruppe 4 bin.
Die Temperatur im Wald ist sehr angenehm. Auch später bleibt es relativ lang, bis ca. Km 18 schattig. Nach 2km folgt ein Teil auf einen Waldweg, der laufbar ist, und bei Km 3 ist schon die erste Verpflegungsstation. Weiter geht es steil bergauf, jedoch von Querungen über Forstwege unterbrochen. Kurz vor Chandolin, wo ein großer Teil der Höhenmeter eigentlich schon geschafft ist und der Veranstalter einen Transfer für Zuschauer organisiert hat, öffnet sich der Blick aus dem Wald auf die Walliser Berglandschaft. Viele bleiben stehen und fotografieren. Atemberaubend. Man blickt auf das Weißhorn und das Matterhorn und andere 3000er und 4000er.
Nach Chandolin gibt es einige breite Wege und es geht nicht mehr nur bergauf, sondern sogar auch mal bergab. Hier sind teilweise untechnische Streckenteile, die ich gut traben kann. Ein Schild zeigt mir nach 2:30h an, dass nun zeitlich gesehen die Hälfte der Strecke erreicht sei. Ich freue mich über mein erlaufenes Zeitpolster; allerdings ist mir klar, dass die technischen Bergabstrecken zum Ende für mich viel länger dauern werden. Nun gibt es immer mehr Zuschauer auf der Strecke. Der Höhepunkt ist dann die kleine Kletterpassage vor dem Hotel Weißhorn.
Danach geht es nochmal höher, auf über 2400m und ich merke die dünnere Luft bei den Bergaufpassagen. Auch wird es viel technischer. Nun sind es überwiegend Single Trails am Berg mit viel Geröll und Felsen, was mir bei den Bergabpassagen wie erwartet alles abverlangt. Der Schlachtruf der Zuschauer wechselt nun von Allez-Allez (Lauf-Lauf) zu Courage (Mut). Ich lasse immer mehr Läufer passieren, wenn der Weg es erlaubt. Die Querungen sind relativ steil und haben es in sich. Leider konnte ich zwei Bergungen mit Helikopter beobachten. Dafür ist die Landschaft nun hochalpin und noch immer geht es mir gut. Ich kann den Lauf genießen und riskiere immer wieder den Rundblick in die Schweizer Bergwelt, auch wenn das einige Sekunden oder Minuten kostet. Der vom Bergaufgehen hohe Puls ist nun wieder niedriger. Dann bin ich endlich bei Km 28, sehe Zinal unter mir liegen, und habe nur noch 3km vor mir. Die haben es allerdings in sich, weil diese sehr steil nach Zinal gehen. Viele Courage-Courage-Rufe machen mich da leider auch nicht schneller. Mit meiner fehlenden Downhillkompetenz habe ich aber schon meinen Frieden gemacht und ich freue mich einfach, dass ich so ein tolles Lauferlebnis erleben darf. Dann ist auch das geschafft und ich darf in den Zielkanal von Zinal mit vielen Zuschauern und toller Stimmung einlaufen. Die letzten 500m sind nur noch Genuss und mit Gänsehaut laufe ich nach 5:33h ins Ziel ein.
Nun beginnt der zweite Teil des Laufs. In dem kleinen Bergdorf Zinal ist mit vielen Zuschauern und ankommenden Touristen die Hölle los. Es gibt viele Screens, auf denen man nun das Eliterennen verfolgen kann. Die Duschen sind heiß und in einem großen Zelt gibt es für alle Touristen ein komplettes Mittagessen mit Salat und Schweizer Käse als Vorspeise, Huhn mit Reis und Gemüse als Hauptspeise und einer Nachspeise.
Zeitgleich verfolge ich das Rennen und kann mich rechtzeitig am nun übervollen Zielkanal positionieren, um den Zielsprint von Kilian Jornet und Philemon Kiriago life mitzuerleben. Kilian unterbietet sensationell seinen eigenen Streckenrekord um 0,7 Sekunden und siegt mit nur 1,5 Sekunden Vorsprung vor Philemon. Später wird er sagen, dass dies sein härtestes Rennen war und auch, dass er besonders stolz darauf ist, dass er 15 Jahre nach seinem ersten Sieg sich hier immer noch verbessern kann. Ich weiß nicht, ob ich wiederkehre, aber es war sicher eines meiner schönsten Rennen.
Alle Läufer werden frenetisch bejubelt und man wird von der besonderen Stimmung mitgerissen. Ich warte noch auf die Zielankunft der ersten Frau, Joyline Chepngeno, eine völlig unbekannte Traillaufnewcomerin, die deutlich vor der zweiten Frau gewinnt. Leider muss ich dann der starken Sonne Tribut zollen. Da ich gefühlt kurz vor einem Sonnenstich stehe, entschließe ich mich, zurückzufahren. Unentwegte erwartet noch eine Party mit Lifeband bis in die Nacht hinein. Der letzte Bus nach Sierre geht um 2h morgens. Natürlich ist auch die Busfahrt beim Lauf inklusive und ist selbst nochmal mit den Ausblicken, tiefen Schluchten, Wasserfällen und uralten Schweizer Dörfern spektakulär.
Fazit: ein toller Lauf, der aus meiner Sicht die aus Wien kommend lange Anreise rechtfertigt. Meine Empfehlung ist eindeutig, sich als Tourist anzumelden, selbst wenn man die 4:30h locker unterbieten könnte. Genau die Kombination aus Lauf in der Frühe und die unnachahmliche Atmosphäre in Zinal macht diesen Lauf aus. Wenn man die Finisherzeiten bei den Touristen ansieht, findet man einige, die bei der Elite hätten mitlaufen können. Umgekehrt gibt es auch Zeiten von über 7h. Hier ist also alles möglich. Die Organisation ist vorbildlich. Trotzdem sollte man den Lauf nicht unterschätzen. Es sind viele Höhenmeter und man sollte noch Kraft und Konzentration für die Bergabpassagen haben. Wir hatten optimale Bedingungen. Den Lauf gab es schon bei jedem Wetter, auch mit Schnee und Regen.
Aber natürlich gibt es viele tolle Läufe, die leichter als Sierre von Wien aus zu erreichen sind. Für mich verbindet die Schweiz vieles und ich habe diesen Lauf für meine kleine persönliche Tour de Suisse genutzt. Ich habe mir vertraute und neue Orte besucht und einige alte Freunde wieder getroffen. So schließt sich für mich der Kreis, warum ich mit Sierre-Zinal mehr verbinde, als einfach nur einen Berglauf.
Daher danke an Christian, Ariane, Renato, Florina, Klaus und die Alumnis der Elcom für die Freundschaft und tollen Begegnungen.
Darüber hinaus gab es viele landschaftlicher Höhepunkte. Schon die Anreise ging über drei Tage. Um nicht zu viel an einem Tag im Zug zu sitzen, gab es einen ersten Stopp noch in Österreich, in Imst. Dies einfach, weil es an der Strecke liegt. Dort genoss ich eine Wanderung durch die Rosengartenschlucht zur Untermarktalm und der Hasleschlucht. Am nächsten Morgen dann noch zum Wetterkreuz und zum Starkenberger See. Mit einem weiteren Stopp in Zürich war dann auch die Fahrt bis ins Wallis nicht so lang.
Nach dem Lauf zog es mich in eine meiner Lieblingsorte, nach Zermatt. Das Hochalpine mit den vielen 4000ern ist einfach einmalig. So konnte ich von Zermatt aus die Hörnlihütte erreichen, der Startpunkt für die Besteigung des Matterhorns.
Am nächsten Tag schaffte ich auch die vielen Höhenmeter auf den Gornergrat mit seiner unnachahmlichen Aussicht auf die Dufourspitze und dem Gletscher. Von dort sieht man übrigens 28 4000er.
Ein weiterer Höhepunkt dann in Randa die Europabrücke.
Mit Florina durfte ich dann noch das Isenthal erkunden.
Bei leichten Regen folgte noch ein Lauf im Zuger Land, ein Treffen mit meinen ElCom-Kolleginnen in Gösgen und eine unterbrochene Rückreise mit Lauf in Wörgl. Über 11 Tage durfte ich so 145 Bergkilometern mit 9811 Höhenmetern sammeln.
Falls also jemand den Lauf Sierre-Zinal plant, kann ich nur eine eigene persönliche Tour de Suisse empfehlen, um die lange An- und Rückreise in ein eigenes Erlebnis zu transformieren.