Wer meine kurze Trailrunning-Laufbahn mit ihren vielen Up- und Downhills mitverfolgt, hat auch mitbekommen, wie sehr mir der Grossglockner ULTRA-TRAIL (GGUT) am Herzen liegt. Dies hängt damit zusammen, dass ich vor fünf Jahren kläglich gescheitert bin, an Unvermögen, Unverstand und Hirnlosigkeit. Ich befand mich seit fünf Jahren in Geiselhaft des wohl schönsten Ultratrails Österreichs, das (einseitige) Stockholm-Syndrom machte sie erträglich. Organisator Hubert Resch holte mich in sein Kommunikationsteam, zwischen 2019 und heute war ich mehrmals in den Hohen Tauern, sah Bilder und schrieb Texte, die mir auf beruflicher Ebene Freude bereiteten und für Gänsehaut-Momente sorgten.

Und dennoch. Da ist eine große Runde, die es immer noch zu laufen gilt.

Nach meiner Rückkehr von den World Trail and Mountain Running Championships in Tirol Ende Juni 2023 galten quasi meine ganzen Gedanken nur dem GGUT. Ich verbrachte die Tage (und auch Nächte) in T-Shirts dieser Veranstaltung, auf meinen Läufen waren dessen Funktionsshirts meine liebsten Bekleidungsstücke. Der GGUT 2024 war zu meinem wichtigsten Lebensinhalt, zu meiner Lebensader geworden.

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Und nun stehe ich im Startbereich des Laufs in Kaprun. Hubert Resch hat mir eine Freude gemacht und mir die Nummer 14 zugeteilt, also eine sehr niedrige im Eliteblock. Ich werde namentlich aufgerufen, es werden Fotos wie jenes weiter oben geschossen, ich plaudere mit Florian Grasel, Claudia Rosegger, Martina Pölzelbauer, Andre Kipper und anderen Stars des Rennens und weiß, dass ich sie jetzt zum ersten und letzten Mal sehen werde. Sie alle laufen vorne mit. Mein Ziel lautet indes schlicht: durchkommen.

Dann geht es raus auf die 110 km mit ihren 6500 Höhenmetern; wie diese sind, hat Andre Kipper in seinem Text schon eindrücklich beschrieben und ich erspare uns eine Wiederholung. Noch vor dem Mooserboden bricht mein Stock, doch ich habe ein Ersatzpaar im Drop-Bag in Kals, wo ich einen mehrstündigen Vorsprung auf die Cut-off-Zeit habe. Dieser schmilzt an einem heißen Hochsommertag auf dem Weg zur Glorerhütte, zur Salmhütte und zum Glocknerhaus wie leckeres Speiseeis in der Sonne dahin, doch immer noch habe ich einen 60-minütigen Polster, als es hinauf zur Unteren Pfandlscharte geht. Das Schneefeld ist herausfordernd, doch vor allem ist es meine Geisteshaltung, die nun mein Rennen zu einer „engen G’schicht“ werden lässt. Einerseits denke ich mir, dass es geschafft sei – na gut, 35 Kilometer noch, aber tendenziell bergab – und lasse mein Zeitmanagement schleifen. Dann lasse ich mich von Mit-Läufern einlullen – „wir haben ja noch so viel Zeitguthaben!“ -, und als ich realisiere, dass dem nicht so ist, ist es fast zu spät.

Den letzten Kontrollpunkt in Fusch erreiche ich drei Minuten vor dem Cut-off.

Während andere es genug sein lassen und motorisiert Richtung Kaprun aufbrechen, mache ich mich mit den GGUT-Schlussläufern um Mitternacht auf das letzte Teilstück, 17 km mit 1000 Hm. Auf diesem halluziniere ich, sehe Frauen in weißen Gewändern am Wegrand, kleine, grüne Schlangen, die sich aus Pflanzenbüscheln mir entgegenrenken, und eine große, schöne Aktentasche sowie eine Fotolinse, die wohl ein Läufer vor mir verloren haben muss. Das sind zwei Steine, sagt man mir. Schon zuvor, zwischen Ferleiten und Fusch, habe ich bei einem Brunnen in das Gesicht eines Rumpelstilzchens gegrinst, ein älteres Pärchen in einem noch älteren Oldtimer-Cabrio bewundert, eine Familie beim Zeitungslesen beobachtet, habe ich preußische Soldaten auf einer Bundesstraße habt-acht stehen sehen. Es ist das erste Mal, dass ich während eines Laufs halluziniere, es ist der Schlafentzug in der zweiten Nacht, der seinen Tribut fordert. Angst verspüre ich keine, viel eher Neugier, was in meiner Phantasiewelt als nächstes auftaucht: Liegt da wirklich ein Kopfhörer auf dem Boden? Ist dieser große dunkle Fleck ein Hund oder nur der nächste Kuhfladen? Und ist die Kuh da drüben echt oder fiktiv?

Das Ziel erreiche ich nach 30:30 Stunden um 4:30 Uhr, eine halbe Stunde nach dem offiziellen Zielschluss. Das ist weder für mich noch für den Veranstalter ein großes Problem. Wer die letzte Cut-off-Zeit auf der Strecke erreicht, auf den wird zumeist gewartet. „Wir hätten die Zeitmatte auch für andere liegen gelassen“, sagt mir Hubert Resch Tage später, „deswegen hast du keine Sonderbehandlung bekommen.“

Die Sonderbehandlung war, dass der Organisator, der Chef aber vor allem der Freund auf mich gewartet und mir die Finisher-Medaille umgehängt hat, eine Plakette, auf die ich besonders die letzten 13 Monate lang hingearbeitet habe. Meine Kolleginnen und Kollegen vom GGUT-Kommunikationsteam sind auch da, Lauffreund Ulli wartet mit einem Bier, besonders bedanke ich mich aber bei den Schlussläufer:innen, mit denen die letzten Kilometer schneller vergangen sind.

Die Gratulationen und Glückwünsche, die ich von verschiedenen Seiten erhalte, freuen und ehren mich. "Saustark durchgezogen", schreibt mir Florian Grasel, "ich feiere dich!!!!" Das ist fast zu viel der Ehre und zu gütig. Selbst bin ich mit meiner Leistung sehr zufrieden, Stolz würde sich vielleicht anders anfühlen - weil ich weiß, dass das eine oder andere besser hätte laufen hätte können. Aber ganz ehrlich: Es hätte sich für mich nichts geändert, wäre ich zwei Stunden früher im Ziel gewesen.

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Der GGUT war ein „unfinished business“ bis Ende Juli 2024. Nun habe ich meinen Frieden mit ihm geschlossen.

Wir werden Freunde bleiben, für immer.