In dieser Geschichte geht es nicht um eine herausragende sportliche Leistung. Es geht nur um einen Lauf in Tulln, in Niederösterreich, bei dem sich die Teilnehmer:innen im Aubad des schmucken Städtchens auf einem 1.266 Meter langen Rundkurs über eine bestimmte Strecke oder Zeit bewegten. Spazierend, joggend, laufend. Als Auszeit vom Alltag. Für die Ziele, die wir uns setzen. Für den Weg und vor allem mit und für die Wegbegleiter. Für die Personen, die uns an diesem Tag physisch oder psychisch, bewusst oder unbewusst, unterstützen. Diesmal sechs Stunden lang.
Wir wachten an einem richtigen Herbsttag auf, und dann verließen meine kleinen Jungs und ich das Zelt. „Wird dein Mann heute laufen und bist du zum Anfeuern hier?“, fragte ein Bekannter nach dem Frühstück. Meine Antwort war eher trocken. „Mein Mann wird 40 Minuten vor dem Start erwartet. Ich habe heute einen freien Tag. Und ich werde laufen.“
Ein Blick zurück. Sagen wir einfach, dass ich mich in den Wochen vor dem Rennen nicht wirklich sinnvoll darauf vorbereitet habe. Die Rolle des Trainings wurde im vergangenen Monat durch das Füllen unserer 700-Liter-Tiefkühltruhe, „das Mit-dabei-Sein“ bei einer weiteren Schnupfen-Husten-Krankheit der Kinder und von kleineren Aufgaben im Zusammenhang mit der großen Überschwemmung und dem Sturm Mitte September übernommen. Ich wusste, dass ich von mir selbst kein Wunder erwarten konnte.
Aber irgendwie war ich neugierig. Ich stand an der Startlinie mit all den bekannten Gesichtern. Und der herbstliche Wind war so angenehm kühl. Ich fing an zu laufen und wir plauderten los. Aber wir leben nur einmal, und wir laufen diesen einen Lauf heute nur einmal! Also beschloss ich nach 200 Metern, heute wieder mal meine Grenzen auszuloten. Manchmal brauche ich diese Erfahrung. Manchmal ist es gut, Dinge richtig zu stellen. Manchmal ist es gut, herauszufinden, was im Leben wirklich wichtig ist.
Der Schwung von meinem Vereinskollegen Heinz hat mich fast 20 km lang an- und mitgetrieben. Ich wusste, dass ich dieses sein Tempo etwa nach der Halbmarathondistanz bereuen werde. Bei ca. 19 km schaute ich mich entsprechend um, wann endlich Egon auftauchen würde. Egon, den ich vor sechs Jahren ausgelacht hatte, als er vom Ultralauf sprach: Here we are! Und der mir einige Tage zuvor angeboten hatte, mich während des Laufs zu unterstützen - aber ich hatte das Gefühl, dass ich ein so großzügiges Angebot so unvorbereitet für diesen Lauf gar nicht annehmen dürfte.
Jedenfalls hat er dann doch versucht, mich irgendwie zu unterstützen und lief knapp 20 Kilometer an meiner Seite. Ich habe gelacht, als Egon versuchte, mich zu motivieren, indem er mir sagte, dass ich dieses Rennen gewinnen könnte. Laut habe ich nur gesagt: „Erstens, verwechsle mich nicht mit Diana (die den Spartathlon 2021 und 2022 mit Egons Unterstützung gewonnen hat), zweitens, ich habe überhaupt keinen Wettkampfgeist. Mich interessiert nur, dass ich für meine Ziele laufe und nicht, was andere schaffen.“ Später änderte er seine Taktik, als wir davon sprachen, dass es noch Stunden bis zur Schlusssirene dauern würde: „Es ist alles relativ, denk einfach an die Leute, die heute den Spartathlon laufen.“ Zuletzt sagte er nur: „Halte einfach ein gleichmäßiges Tempo, lauf nicht zu über deine Grenzen, trödle aber auch nicht herum.“ Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich auf nichts anderes konzentriert. Nicht kotzen, nicht stehenbleiben, immer schön weitermachen.
In der nächsten Runde wurde ich von einem ganzen Fan-Fun-Club begrüßt. Egon und drei wunderbare Frauen: Gina, Alexandra und die Mama von Sabrina Lederer, einer weiteren ULT Heustadlwasser-Läuferin, die die 12 Stunden souverän gewann. Die bei jeder Runde etwas Nettes sagten oder mich fragten, was ich brauche. Meine Uhr vibrierte und eine Nachricht kam durch. Ich wusste, dass einige irgendwo in Budapest die Online-Ergebnisse anschauten und an mich dachten.
Und irgendwie hatte ich dieses komische Gefühl - dieses Gefühl, dass es doch eine Rolle spielt, ob und wie ich weiterlaufe. Dass ich nicht mehr nur mehr für mich allein laufe. Kann ein Gefühl eine Gänsehaut sein?
Und plötzlich hatte ich eine neue Laufpartnerin, Kathrin, eine vierte wunderbare Frau. Und ich spürte, dass dies die Unterstützung ist, die ich brauchte, die wir beide brauchten. Dass wir uns manchmal gegenseitig motivieren mussten.
Es war vielleicht noch eine halbe Stunde zu laufen, als Gina mich leise ansprach: „Du läufst in der gleichen Runde wie die Zweitplatzierte.“ Irgendwo da drin habe ich auf einmal gespürt, was es mit dem Wettkampfgeist auf sich hat. Dass ich hier und jetzt etwas zurückgeben konnte für all die Jahre der Ermutigung, die ich von diesen Menschen erhalten hatte. Dass ich heute alles tun muss, was ich kann, was noch möglich ist.
57,2541 Kilometer bin ich dann gelaufen, 620 Meter hatte ich Vorsprung auf die Nächste. Mit dieser Distanz bin ich tatsächlich Zweite geworden.
3:30 Minuten. Das war die Zeit, die ich auf den letzten zehn Kilometern gutmachen konnte, als ich schon mal sicher war, dass ich keine Sekunde schneller laufen könnte. Dass es ein Wunder wäre, wenn ich es überhaupt noch schaffte, eine weitere Stunde zu laufen.
„Herzlichen Glückwunsch zum Lauf und zu deinem Mann.“ Kurz nach dem Lauf wurde ich von drei, vier Männern begrüßt. „Unglaublich, wie er sich sechs Stunden lang um die Kinder gekümmert hat.“ Christian ist übrigens wirklich unglaublich. Aber ich glaube nicht, dass es in erster Linie an seiner Fähigkeit liegt, sich an einem Samstag acht Stunden lang um unsere gemeinsamen Kinder zu kümmern. Vielleicht liegt es eher daran, dass man sich immer auf ihn verlassen kann, wenn man ihn wirklich braucht.
Ist die Platzierung wichtig? Das glaube ich immer noch nicht. Was zählt, ist, dass man immer aufstehen kann. Und manchmal ist es eben an der Zeit, aufzustehen. Aber vor allem, dass es immer jemanden gibt, für den es wert ist, aufzustehen.