(Bilder: Günther Weitzer)

Transalpine Run 2024, das hieß: in sieben Tagen von Garmisch-Partenkirchen an den Reschensee, durch Hitze und Regen, durch Nebel und Schneefall. Am Ende waren es rund 250 Kilometer und 15.000 Höhenmeter, die ich bewältigte. Die 19. Auflage dieser epischen Veranstaltung war eine der schwersten in deren Geschichte, sagen die Veranstalter. Mag sein, mir fehlen Vergleichswerte. Wild und emotional war die Laufwoche allemal, und ich bin zufrieden, es geschafft zu haben.

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Im Ziel in Graun am Reschensee falle ich Heini Albrecht um den Hals, heule mich aus und sage mit tränenerstickter Stimme: „Du weißt gar nicht, was mir dieser Zieleinlauf bedeutet.“ Albrecht ist der Organisator des Transalpine Run (TAR), er ist ein Freund und er nimmt mich in den Arm wie ein Familienmitglied. 13 Monate zuvor hatte er mich im Rahmen des Grossglockner Ultra-Trails eingeladen, doch dabei zu sein, „wir laufen bis zum Reschensee“. An jenem Tag im Juli 2023 wurde mein Projekt „Homerun“ geboren. Ich suchte und fand die Unterstützung der Tourismusregion Reschensee, die von Gerald Burger geleitet wird, und ich wurde dank des offenen Ohrs von Mathias Nesensohn auch zu einem „Hammer Nutrition“-Athleten. Im Nachhinein betrachtet hätte bei zwei Stockbrüchen im Laufe des Jahres ein zusätzliches Sponsoring von Leki auch nicht geschadet.

Und nun ist der „Homerun“ vollbracht und ich bin aufgelöst wie ein kleines Kind, so wie damals am Gornergrat 2018. Wenn mich meine Emotionen überwältigen, kann ich meine Tränen nicht unterdrücken.

Impressionen von Tag eins und zwei (Bilder: TAR)

Der TAR 2024 beginnt in Garmisch-Partenkirchen vor dem Kur-Zentrum, ich kenne den Ort aus meiner sportjournalistischen Vergangenheit (Stichwort: Vierschanzentournee) und will dennoch nur weg von hier. Die Etappe führt nach Nassereith nach Tirol, es gibt einen kleineren Klettersteig, für den die Veranstalter Helmpflicht ausgegeben haben, und sie bietet mit der Grünsteinscharte schon ein erstes Ausrufezeichen. Mein Problem ist, in den vorangegangen vier Wochen kaum Höhenmeter gemacht zu haben – dieses erste Teilstück ist quasi der Wiedereinstieg in die Trails.

Von Nassereith nach Imst sind es am zweiten Tag weniger Kilometer und weniger Höhenmeter, der Tschirgant als höchster Punkt ist ein lohnendes Ziel. Langsam komme ich, besonders bergab, in Fahrt. Und langsam ändert sich das Wetter, waren die ersten beiden Tage trocken und sehr heiß, steht uns allen nun ein Umschwung bevor – es wird nass und kalt.

So wird die Königsetappe, die von Imst über Landeck nach See führt, von 50 auf 46 km gekürzt, die Höhenmeter sind offiziell nicht mehr rund 3100 sondern lediglich 2850. Nach dem abendlichen Briefing beschwere ich mich auch postwendend beim Streckenchef, ernte ungläubige Blicke der Umstehenden und merke, dass ich zu alter Selbstgefälligkeit zurückfinde.

Impressionen von Tag drei und vier (Bilder: TAR)

Doch mein TAR beginnt in der Tat an diesem langen dritten Tag, an dem ich knapp elf Stunden unterwegs bin. Nicht, dass ich irgendetwas mit vorderen oder mittleren Platzierungen zu tun hätte, nicht, dass ich plötzlich zu einer Gämse in den Alpen geworden wäre. Doch mit jenen, die in meiner Leistungsklasse zu finden sind, halte ich gut mit, muss sie aufwärts ziehen lassen und sammle sie abwärts wieder ein, egal, ob der Downhill nun rutschig und matschig oder steinig und hochalpin ist. Und so sind es immer wieder die gleichen Konversationen: „Wenn es bergab geht, sehen wir uns eh wieder.“ „Wenn es bergauf geht, holt ihr mich eh wieder ein.“ Ich mache neue Lauffreundschaften, beispielsweise Magdalena und Martina aus Kärnten, ein amerikanisches Pärchen aus Salt Lake City, Markus aus Deutschland oder Nicola – der kommt aus Italien, lebt aber in England. Immer wieder treffe ich Günther Weitzer aus Schwindegg in Bayern, er ist wie ich Mitglied in der Deutschen Ultramarathon Vereinigung. Der LC Wienerwaldschnecken adoptiert mich quasi bei diesem TAR, auf der Strecke gibt es angenehme Unterhaltungen mit Marianne oder Matthias und anderen, im Ziel mit Betreuer Walter.

Probleme mit den Zeitvorgaben der Organisatoren habe ich bis zu diesem Zeitpunkt keine, in der Regel laufe ich 20 bis 60 Minuten vor den Cut-offs über die Zeitmatten. Nur am vierten Tag ist es anders. Das kalte und nasse Wetter ist besonders fordernd, die Topgraphie mit vier Gipfelkreuzen inklusive Blockkletterei nicht gerade leicht, und die Downhills rutschiger als die Rodelpiste in Igls. Fakt ist, dass auf der Strecke von See nach Ischgl die Cut-off-Zeit bei der dritten Verpflegungsstation aufgehoben wird, und von dieser Aktion profitieren neben zwei, drei Dutzend anderer Läufer:innen auch ich.

Gut gegangen, also.

Die fünfte Etappe von Ischgl nach Samnaun wird gekürzt und führt durch österreichisch-schweizer Grenzlandschaften und quasi unberührte Natur. Ist es auch ein neuer Tag, so ist es doch auch ein altes Spiel, und lasst mich einen alten Bekannten zitieren. „Minuten, die man aufwärts verliert, können abwärts wieder gutgemacht werden. Und wenn die Oberschenkel im Downhill mehr brennen als bergauf, dann macht man vieles richtig“, doziert Werner Mayerl. Mögen wir auch in anderen Punkten (Stichwort: Stöcke) unterschiedlicher Meinung sein – in diesem stimme ich ihm bei.

Impressionen von Tag fünf und sechs (Bilder: TAR)

Das Wetter, das sich in Ostösterreich zu einer wahren Katastrophe entwickelt, wird nicht wirklich besser, aber immerhin trockener. Läufe in große Höhen sind aber aus mannigfachen Gründen nicht vernünftig; so startet die sechste Etappe nicht in Samnaun, sondern im tiefer gelegenen Martina. Es ist das für mich schwerste Teilstück, führen doch die gefühlt ersten 25 Kilometer nur über Forst- oder Asphaltstraßen, zwischendurch unterbrochen durch einen kürzeren oder längeren Trail. Wäre dies eine Eintages-Veranstaltung, würde ich aussteigen, denke ich mir trotzig. Aber bei einem TAR machst du das eher nicht.

Der letzte Downhill hinunter nach Nauders entschädigt für vieles, auf einem knappen Kilometer spiele ich Kamikaze und höre am nächsten Tag am Frühstückstisch: „Ich verstehe einfach nicht, dass es da welche gibt, die am vorletzten Tag sich bergab so runterhauen und so viel riskieren.“ „Ähm“, räuspere ich mich, „das war wahrscheinlich ich…“

Es gibt nichts, was die Teilnehmer:innen am TAR 2024 noch nicht gesehen hätten – außer Schnee. Dieser wartet auf der Schlussetappe von Nauders nach Graun am Reschensee auf uns, ich laufe durch eine Winter-Wonder-Landschaft und über vereiste, hängende Holzbrücken und beginne darüber nachzudenken, dass der „Homerun“ vor einem glücklichen Ende steht.

Eine Impression von Tag sieben (Bild: TAR), und der Leistungsnachweis

Wenn ich eine Stärke in dieser TAR-Woche ausspiele, dann ist es besonders jene, nahezu immer im Hier und Jetzt zu sein: mich in keiner Phase des Wettbewerbs mit dem Ziel in Südtirol auseinanderzusetzen, mich nicht mit den Wettervorhersagen der kommenden Tage zu beschäftigen, mich nicht mit dem Teilstück von Morgen zu befassen, ehe ich nicht im Heute im Ziel bin. Der Transalpine Run hat für mich nicht die Zeiteinheit einer Woche, sondern von aneinandergereihten Sekunden. Nur der nächste Schritt ist das Wichtigste, nur der nächste Stockeinsatz hat Relevanz.

Am letzten Tag ändert sich mein Gemütszustand, ich finde mich in einem mehrstündigen Zwiegespräch mit meinem Vater wieder. Dieser kommt aus dem Obervinschgau („Homerun“), dieser verstarb, als es den Transalpine Run noch gar nicht gegeben hat. Emotionen kommen hoch, es sind Freude und Dankbarkeit, Wehmut und Trauer. 1500 Meter vor dem Ziel, auf einem Flachstück bei langsamer Geschwindigkeit, stolpere ich über einen Stein und falle zum ersten Mal in dieser Woche. Es gibt keine Kratzer, keine Haut- oder Fleischwunden, keine Kopfverletzungen (und somit auch keine Bilder, sorry).

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Die letzten Meter hinunter an den See sind schwer. Der Zielraum ist voller Fotografen und Videomaker, sie warten nicht auf mich, sondern auf Holger Schulze, der direkt hinter mir die Linie überquert. Er ist der Rekordmann des TAR, seit den Anfängen dieses Events jedes Jahr erfolgreich dabei. Chapeau!

Während dieser abfotografiert und gefeiert wird, liege ich Heini, mit dem ich die letzten sechs Tage im Ziel immer abgeklatscht habe, in den Armen.

Ich denke mir, dass er stolz auf mich ist.

Und ich weiß, dass es mein Vater auch gewesen wäre.

 

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Es gibt vielleicht keine Trailrunning-Mehrtages-Veranstaltung, die besser organisiert ist als der Transalpine Run. Die Organisatoren und ihre Partner haben allen meteorologischen Herausforderungen zum Trotz Tag für Tag sensationelle Trails angeboten, haben uns auf einzigartige Aussichtspunkte laufen lassen, haben für das ganze Drumherum gesorgt, mit Eis, Bier, Kaffee und vielem mehr in den Zielarealen. Der TAR 2025, die Jubiläumsauflage, findet vom 6.-12. September statt, die Anmeldung öffnet im Dezember.