Die Finishermedaille, und das Treffen mit Staffel- und Vereinskolleg:innen am Vorabend des Laufs

 

Wien Rundumadum 2025: Renn, Oida! 374 Jahre und kein bisschen weise

von Helmut Bonomo

Irgendwie hat er etwas Monumentales: steht am Ende des (verlängerten) Sommerhalbjahres, die Adventläufe haben noch nicht begonnen, für kurz-kurz ist es meistens doch schon zu frisch und die Laufplanung richtet sich in Gedanken auf das nächste Frühjahr; dazu noch die Strecke: neben Nasenweg und Dreihufeisenberg auch Hotspots des gemütlichen Wieners – Zentralfriedhof, Steinhof, Kalksburg und Transdanubien!

So war es auch kein Zufall, dass ich drei Mal laut hier geschrien habe, als Egon Mitläufer für seine Staffel gesucht hat. Egons Zeitplan war amikal und selbst in der schnelleren Version für mich Langsamläufer machbar. 15km von Eßling nach Gerasdorf, da waren die prognostizierten zwei Stunden gut machbar. Zwei Tage vor dem Start erhielt ich von Präsident Erwin noch vier von seinen Kilometern geschenkt, um meine Reise bis an den romantischen Gerasdorfer Badeteich fortsetzen zu dürfen. Doch von Anfang an…

Der Renntag beginnt für den fünften Läufer der Staffel wie ein gewöhnlicher Samstag: während Adalbert den ersten Abschnitt in Angriff nimmt, beginne ich gemütlich mit ein bisschen Gartenarbeit, gefolgt vom samstäglichen Familieneinkauf. Zwischendurch der Blick auf das Tracking, wie geht’s Adalbert auf der ersten Etappe? Und der erste Schock: unser Tracker befindet sich in der Neuen Donau, ist Adalbert etwa ins Wasser gefallen? Kurz darauf Entwarnung, der Tracker aktualisiert sich und unsere Position befindet sich wieder am Hubertusdamm.

Während ich gemütlich meine Laufsachen herrichte, läuft Adalbert ein tolles Rennen, über Kahlenberg, Hermannskogel und Jubiläumswarte sticht er hinunter ins Wiental nach Hütteldorf, wo Thomas – mit seinen 50 Jahren unser Youngster – auf die Staffelübergabe wartet. Kaum hab ich meinen letzten Bissen des Mittagessen hinunter geschluckt, kommt von Thomas die freudige Mitteilung, dass er Dreihufeisenberg, somit das Kap Hoorn des WRU, bezwungen hat und es ab nun immer bergab geht. Und dafür fürchte ich mich nun am meisten, dass es bei meinem Abschnitt mit der Zeit bergab geht; Adalbert und Thomas performen jedenfalls deutlich unter den von Egon prognostizierten Wechselzeiten.

Thomas, Egon und Helmut, der Autor dieses Berichts

In Kalksburg übergibt Thomas an Josef, der nun den ersten semi-urbanen Abschnitt in Angriff nimmt: nichts mehr mit Wienerwald, Gatsch und blätterbedeckten Waldwegen, dafür Satellitensiedlungen, Industriezonen und Flachland. Josef läuft ebenso wie seine beiden Vorgänger wie die Stechuhr und nähert sich unaufhörlich dem nächsten Wechselpunkt beim Zentralfriedhof. Während Josef Favoriten durchquert, philosophiere ich mit Egon im Charme eines Tankstellenbistros über (Lauf-)Götter und die Welt. Nach mehrmaligem Koffeindoping übernimmt Egon übermotiviert in kurz-kurz das Staffelholz (genauer das Armband) und stürzt sich in das mittlerweile finstere Simmering.

Die Nervosität wächst, als ich an meinen Wechselpunkt, die Esslinger Furt, komme: es ist jetzt knapp vor 21 Uhr, die übliche Abendmüdigkeit setzt ein und ich frage mich, wie ich nun meine knapp zwanzig Kilometer schaffen soll. Keine Frage, Staffel ist Staffel ist einer für alle und so weiter… Dann der nächste Schock: kurz nachdem mich Egon anruft, ob er sich noch am richtigen Weg befindet, bewegt sich sein Tracker nicht mehr. Ich hoffe, dass das nur die Elektronik ist und nicht unser italienischer Legionär, der seinen Geist aufgegeben hat. Endlich taucht Egon – mit leichtem Trainingsdefizit in diesen Lauf gestartet - aus der dunklen Lobau auf, übergibt an mich und stürzt zur Labe, wo er vom freundlichen Helfer ein halbes Kilo Nutella zwischen zwei Brotscheiben überreicht bekommt.

In der Zwischenzeit bin ich schon Richtung Gerasdorf unterwegs, lauf vorbei an der halbfertigen Seestadt, immer flacher und immer trostloser wird die Gegend. Trostlos wird auch das Wetter, Wien im November: Nieselregen und leichter Ostwind setzen ein, die Feldwege werden rutschiger und auch meine Pace passt sich der Jahreszeit an. Bin ich froh, dass Adalbert und Thomas so viel Zeit gegenüber unserer Planung eingespart haben, da kann ich ja jetzt ein bisserl was ausgeben. Nach etwas mehr als zwei Stunden ist der Ausflug durch die Niederungen von Mordor beendet und ich übergebe an Erwin.

Der Präsident muss eigentlich nur das gute Werk zu Ende führen und die Runde über Bisamberg und Strebersdorf zu Ende bringen, wäre da nicht die Sache mit seinem Kreuz, das ihm schon das ganze Jahr Schwierigkeiten macht. Je länger sein Abschnitt dauert, umso flüssiger werden seine Schritte und umso schneller wird er. Wir hoffen, dass er rechtzeitig vor dem Donaupark zu bremsen beginnt. Um 01:20 Uhr ist es dann soweit, Erwin bringt die 374-jährige Staffel ins Ziel und wird mit dem WRU-typischen Jubel – besonders von uns – empfangen.

Während wir uns noch gemeinsam stärken und die Erlebnisse auf unseren Abschnitten austauschen, stellt sich ein Gefühl der Zufriedenheit ein, gemeinsam als ältestes Team (Lauf Alter! oder doch Laufalter?) den WRU bewältigt zu haben im Wissen, dass einzelne Mitglieder des Heustadlwassers – damals, zwischen Pyramiden, Säbelzahntigern und Steintafeln mit Keilschrift – eigentlich das Ultralaufen erfunden haben. 

Vor mehr als 374 Jahren.

Erwin, Adalbert, Josef, Egon, Helmut (Thomas fehlt) - die ULT "Lauf Alter" Heustadlwasser-Staffel im Ziel des WRU 2025