So viel habe ich in diesem Jahr nicht geschrieben, weil es nicht viel zu berichten gab. Wer will schon von aufeinanderfolgenden Armbrüchen lesen, und wenn andere gefeiert gehören, dann stehen diese im Mittelpunkt und nicht meine DNFs da und dort. Doch Ende Oktober habe auch ich mein Erfolgserlebnis 2021 gehabt, und vorlaut und selbstdarstellend wie ich bin – Trommelwirbel, bitte! -, hier mein Bericht.

 

Dass der wichtigste Wiener Ultra, ein Erlebnislauf und kein Rennen, nicht einfach „Rund um Wien“, „Wiener Ultra“ oder so ähnlich heißt, sondern „ganze G’schicht“, „dreiviertel G’schicht“, „halbe G’schicht“, „kurze G’schicht“ passt sowohl zum familiären Charakter der Veranstaltung als auch zu Wiener Gemütlichkeit: „Des is‘ halt a G’schicht!“

Die G’schicht, rund um Wien zu laufen, stand nicht auf meiner Wunschliste, eher auf einem to-do-Zettel. Ich liebe den Ultralauf, fahre für Veranstaltungen hunderte Kilometer, doch ich wohne in Wien. Gehört es da nicht zum, sagen wir: guten Ton, den Ultra vor der eigenen Haustür zu absolvieren? Jedes Mal, wenn ich ein Teilstück lief, zwischen Liesing und Hafen Freudenau, oder hinten hinaus von Seestadt über Gerasdorf, Stammersdorf ins Ziel, fragte ich mich aber, ob ich mir das wirklich antun müsste. Ja, es gibt schöne Streckenabschnitte, U4-U4 und Teile des RULT und die Lobau, aber die 130 km insgesamt faszinierten mich – ehrlich gesagt, eher weniger.

Hinzu kam, dass mir in diesem Jahr fünf Monate Lauftraining abgingen.
Hinzu kam, dass ich immer noch muskuläre Schmerzen in der Schulter verspürte, von meinem zweiten Armbruch Ende Juni.
Hinzu kam, dass ich selbst wusste, in einem Monat in besserer Form zu sein.
(Ich versuche gerade noch ein paar andere weinerliche Stichpunkte zu finden, diese reiche ich eventuell später nach…)

Warum bin ich dann die „ganze G’schicht“ angegangen?

Gute Frage, einfach zu beantworten. Halbe Sachen mag ich nicht, aber vor allem wusste ich, nicht allein zu sein. Herbert Brunner begleitete mich von Hütteldorf, Kilometer 32, bis Liesing Bahnhof, Kilometer 55, dort übernahm ULT-Chef Erwin Ostry, der bis zur U2-Station Aspern, also ca. Kilometer 97, bei mir blieb. Auch wenn dieser Ultra eine Geschichte von mir, für mich, mit mir selbst war, wenn ich ganz bei mir war, so war ich für die Hälfte der Strecke nicht allein. Es gibt ja so viele schöne Sätze, die die Wiener Mentalität von innen nach außen kehren, jener von Alfred Polgar fällt mir gerade ein: „Im Kaffeehaus sitzen Leute, die alleine sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.“ Dies hat sicher auch für mich beim Wienrundumadum gegolten: ganz bei mir, aber nicht einsam zu sein.

Die meisten, die diese Zeilen lesen (danke für euer Interesse!) kennen den Streckenverlauf, weswegen ich nicht ausufernd werden will. Über die Donauinsel geht es im Morgengrauen den Nasenweg hoch, und dort oben, um halb sieben, sieben Uhr treffe ich Regina Kadi und Martin Wustinger – was für eine schöne, frühe Überraschung! Dann führt die Route über den Kahlenberg, am Hermannskogel vorbei Richtung Hameau und runter nach Neuwaldegg, dann nach Hütteldorf, wo Herbert wartet. Nach dem Dreihufeisenberg sind die meisten der 1800 Höhenmeter auf der Strecke abgearbeitet.mit Erwin auf der Daonauinsel Am Gütenbachtor legen Herbert und ich einen Boxenstopp inklusive Schuhwechsel hin, den die Mercedes-Crew in der Formel 1 auch nicht schneller hingebracht hätte. Weiter geht‘s nach Liesing, wo Erwin bereit steht, dann durch einen zugegebenermaßen öden Teil, vorbei an Alt-Erlaa und Zentralfriedhof zum Hafen Freudenau, die Donauinsel rauf (wo Gina und Martin mich erneut motivieren und zudem wunderbare Fotos schießen!), rein in die Lobau – die ich bei Tageslicht bewältige, darauf bin ich stolz! – und ab der Esslinger Furt noch einen langweiligen „kleinen Marathon“ (ha ha!) von rund 35, 37 Kilometern. Sehr gut tut es mir, dass mich Richard Rainer bei Stammersdorf quasi abpasst und mich das Kopfsteinpflaster hinunter und hinüber auf die Donauinsel begleitet.

 

Gestartet war ich mit drei Zielen, zwei habe ich erreicht. Finishen: check! Am Samstag vor Mitternacht ankommen: mit 17:45 Stunden Laufzeit, um 23:15 Uhr, check! Unter 15 Stunden bleiben: Das war zu viel des Guten, war schon sowohl von mir als auch Trainer Gerhard Schiemer als „ambitioniert“ bezeichnet worden und ab Halbzeit (7:45 Stunden für 65 Kilometer) unrealistisch – denn einen Ultra laufe ich weder jetzt noch in naher Zukunft (und wahrscheinlich nie) mit einen negativ Split.

Dennoch halte ich mir zugute, vieles richtig gemacht zu haben. Ich war für meine Verhältnisse und Möglichkeiten schnell unterwegs auf der ersten Hälfte, das verschaffte mir einen zeitlichen Puffer für die zweite. Ich hielt mich so kurz wie nur möglich an den Verpflegungsstellen auf. Und als ich meinen persönlichen „point of no return“ erreicht hatte, die Tangente bei Km 65, zweifelte ich nicht eine Sekunde daran, eventuell nicht zu finishen – auch dann nicht, als die letzten 30 Kilometer oder so mehr ein „Fortbewegen“ als „Laufen“ waren.

Im Ziel werde ich von Lauffreunden aus verschiedenen Ecken empfangen, vom ULT, vom Weekly Long Run, von anderen, die ich noch nicht so gut kenne. Ich bin ehrlich gerührt. Die Fahne meines Vereins ist mir wichtig, ich habe sie bei Erwin „bestellt“ und trage sie seit Aspern bei mir, denn auch wenn ich sehr wohl weiß, dass ich derjenige bin, der läuft, so weiß ich auch, wie wichtig die Gemeinschaft ist, in der ich eingebettet bin.

Jeder und jede, der mich begleitet an diesem Tag, der an mich denkt, gibt mir Kraft, motiviert mich, treibt mich voran. Ich selbst denke an Josef Stöger, er läuft auch die „ganze G’schicht“ und wird nach 20:49 Stunden ins Ziel kommen. Eigentlich hätte ich auf ihn warten wollen – aber als ich im Sportcenter Donaucity war, machte mein Kreislauf schlapp. Ich saß an der Wand, eingehüllt in Rettungsdecken, mit Lauffreunden und –freundinnen, die sich zusammen mit zwei Sanitäter fürsorglichst um mich kümmerten: ob ich was zu essen oder trinken möge, wie es um den Blutdruck und Blutzucker stünde, ob ich lieber Krapfen oder Gulasch hätte, und so weiter. „Wenn das jedes Jahr so ist, dann laufe ich nächstes Jahr doch wieder die ,ganze G’schicht‘“, sagte ich mit schwacher, dankender Stimme. Letztlich brachte mich Stefanie Simon nicht nur heim, sondern im wahrsten Sinne des Wortes bis vor die Wohnungstür. Vielen Dank für all deine, für all eure Unterstützung!

Auch wenn der Wienrundumadum ein Erlebnislauf ist und kein Wettbewerb – die „halbe G’schicht“ hat Robert Weihs, ULT Hustadlwasser, gewonnen. Vom Hörensagen kann ich berichten: Er war so schnell, dass die Labe noch nicht aufgebaut war, als er vorbeikam. Da rief er Richard Rainer an und bat ihn, zwei Gels zu einem ausgemachten Treffpunkt vorbeizubringen: Teamwork überall!

Was ist mein Fazit, mein Ausblick? Es gibt einen Lauf weniger auf meiner to-do-Liste. Enge Freunde werden die „ganze G’schicht“ und ich wohl nicht mehr werden, das Marchfeld gewinnt auch im Dunkeln nichts an Attraktivität, aber ich respektiere die Herausforderung und die Schwierigkeit dieser Strecke und verneige mich vor allen, die sie bewältigen – denn sie ist wirklich nicht ohne. Ich mache keine halben Sachen, habe ich weiter oben geschrieben. Nun ja, aber vielleicht dreiviertel Sachen schon. Eines ist nämlich auch klar: Der Wienrundumadum ist eine wunderbare, faszinierende Veranstaltung, mit vielen freundlichen Mitarbeitern und Helfern. Es ist ein Event, in dem die Wiener Laufcommunity zusammenfindet, bei dem das Miteinander im Vordergrund steht, und das alles mit diesem lässigen Wiener Charme und Schmäh.

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Ok, ok, jetzt habe ich mich selbst überredet. Sollte ich 2022, 2023, 2024, und so weiter, nicht selber laufen, dann werde ich zumindest versuchen, dabei zu sein und ein wenig zurückzugeben, was ich in diesem Jahr so sehr genossen habe. Ganz bei mir, aber doch nicht einsam zu sein.